Gen-Analysen, Mikrobiom-Tests, Blutzuckermessungen und Co. – es gibt vielfältige Angebote, die zu individuellen Ernährungsempfehlungen und damit einer verbesserten Gesundheit verhelfen sollen. Doch was kann man aus diesen Parametern tatsächlich ableiten? Und wo liegen die Grenzen?
Viele Menschen kennen die einen oder anderen Empfehlungen zu einer gesunden und bedarfsangepassten Ernährung – ob nun von Fachgesellschaften oder der Influencerin des Vertrauens. Ein großes Problem dabei: Nicht alles funktioniert für jede oder jeden. Während Person A nach einer Portion Pasta voller Energie ist, fühlt sich Person B danach müde und schlapp. Und was Person C beim Frühstück guttut, führt bei Person D zu Unwohlsein. Solche Erfahrungen zeigen, wie unterschiedlich unsere Körper auf Lebensmittel reagieren. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von genetischen Unterschieden und Stoffwechselprozessen über Gewohnheiten wie das Bewegungsausmaß bis hin zu persönlichen Vorlieben und Abneigungen.
Genau an diesem Punkt setzt das Konzept der personalisierten Ernährung (PE) an: Statt pauschaler Empfehlungen steht hier das Individuum mit seinen einzigartigen Bedürfnissen und Voraussetzungen im Mittelpunkt. Nachdem es keine feste Definition gibt, können verschiedene Ansätze zu PE gezählt werden, von medizinischen Tests, über klassische Ernährungsberatung bis hin zu technischen Unterstützungen durch Apps.
Einfluss der Gene oft überschätzt
Seit das menschliche Erbgut im Jahr 2001 entschlüsselt wurde, wissen wir, dass die DNA aller Menschen zu über 99% gleich ist. Trotzdem entstehen viele genetische Varianten durch sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen, auf Englisch Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs, ausgesprochen: Snips). Dabei handelt es sich um winzige Veränderungen im Erbgut, bei denen an einer bestimmten Stelle der DNA ein einzelner Baustein (Nukleotid) durch einen anderen ausgetauscht ist. Das passiert regelmäßig von selbst und sorgt dafür, dass jeder Mensch ein einzigartiges genetisches Profil (Genotyp) hat. Mithilfe moderner Methoden wie der DNA-Sequenzierung kann man diese Unterschiede erkennen und untersuchen, wie sie sich auf den Stoffwechsel (Phänotyp) auswirken.
So weiß man inzwischen, dass Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine genetische Komponente haben. Allerdings: Selbst, wenn viele verschiedene Genorte gefunden werden, kann man damit meist nur einen kleinen Teil der Unterschiede zwischen Menschen erklären. Das zeigen sogenannte genomweite Assoziationsstudien (GWAS), bei denen die Gene von vielen Menschen analysiert werden, um statistische Zusammenhänge zwischen genetischen Varianten und bestimmten Merkmalen – wie Krankheiten – zu finden. Ein Beispiel: In einer Studie mit 700.000 Teilnehmenden aus dem Jahr 2018 wurden 941 Stellen im Erbgut gefunden, die mit Adipositas zu tun haben. Zusammen erklären sie aber nur etwa 6% der Unterschiede des Body-Mass-Index (BMI). Andere Studien zeigen ein ähnliches Bild, wenn es etwa darum geht, wie gut jemand abnimmt. Insgesamt scheint der Einfluss der Gene auf ernährungsbedingte Krankheiten also eher klein zu sein.
Gen ≠ Garantie
Gene allein sorgen zudem nicht automatisch dafür, dass sich unser Stoffwechsel verändert. Damit uns ein Gen beeinflusst, muss es zuerst „angeschaltet“ und aus der DNA abgelesen werden. Ob das passiert, hängt von vielen Faktoren ab, z.B. von sogenannten epigenetischen Veränderungen. Das sind chemische Modifikationen an der DNA oder den zugehörigen Proteinen, die die Aktivität von Genen beeinflussen, ohne den genetischen Bauplan zu verändern. Sie können durch Faktoren wie Ernährung, Stress, Bewegung oder auch Schadstoffe aus der Umwelt beeinflusst werden. Deshalb können sich selbst Menschen mit sehr ähnlichen Genen – beispielsweise eineiige Zwillinge – im Laufe des Lebens unterschiedlich entwickeln. Um unseren Körper wirklich zu verstehen, reicht es also nicht aus, nur die Gene zu betrachten. DNA-Tests für zu Hause, die etwa durch Abstriche der Mundschleimhaut vermeintliche Stoffwechseltypen sowie die Neigung zu Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Co. identifizieren sollen, sind daher wenig aussagekräftig.
Viel unklar beim Mikrobiom
Neben den Genen und den epigenetischen Einflüssen spielt auch die Darmflora eine wichtige Rolle für unseren Stoffwechsel. Was wir essen, beeinflusst die Zusammensetzung der Bakterien im Darm. Gleichzeitig helfen die Bakterien dabei, verschiedene Nährstoffe zu verstoffwechseln. Für personalisierte Ernährungsempfehlungen werden daher häufig Stuhlproben herangezogen, um die Darmbakterien zu analysieren. Allerdings ist die Evidenz dafür begrenzt. Das liegt unter anderem daran, dass die Zusammensetzung und Wirkung der Darmflora von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Zudem weiß man bis heute nicht genau, wie ein „gesundes Mikrobiom“ aussieht oder wie man es dauerhaft erreichen kann, weil es sich ständig durch Ernährung und andere Umwelteinflüsse verändert. Eine einzelne Stuhlprobe kann dieses komplexe Zusammenspiel daher nicht zuverlässig abbilden.
Hype um Blutzucker unbegründet
Viele moderne Test-Kits für PE enthalten neben der Analyse von Genen und/oder Darmflora zusätzlich eine Blutzuckermessung. Diese rückt auch im Rahmen der kontinuierlichen Glukosemessung (continuous glucose monitoring, CGM) in letzter Zeit verstärkt in den Fokus von vielen gesundheitsbewussten Menschen. Bei Letzterem ermöglicht ein Messgerät in der Haut, den Blutzuckerspiegel im Alltag in Echtzeit zu verfolgen. Das bedeutet, dass man nach dem Essen beobachten kann, wie stark der Blutzucker ansteigt. Was insbesondere für Menschen mit Diabetes Typ 1 sinnvoll ist, muss es jedoch bei Gesunden nicht sein. Denn es gilt: Der Blutzucker kann Hinweise auf Diabetes oder Insulinresistenz geben. Darüber hinaus ist er aber nur ein einzelner Parameter und gibt allein betrachtet wenig Aufschluss über die gesamte Stoffwechsellage oder die allgemeine Gesundheit – weder als Einmaltest noch als kontinuierliche Messung.
Empfehlungen nach Tests oft allgemein
Sieht man sich die empfohlenen Ernährungspläne nach solchen Tests genauer an, zeigt sich: Zum Abnehmen wird meist eine ausgewogene, kalorienreduzierte Mischkost zusammen mit mehr Bewegung empfohlen. Oft gibt es dazu auch Rezepte oder Wochenpläne, um die Personen bei der Umsetzung im Alltag zu unterstützen. Diese Tipps sind grundsätzlich richtig und können beim Abnehmen helfen. Dafür braucht man aber keine speziellen Analysen. Unterm Strich: Die sogenannten Direct-to-Consumer-Tests, die man zu Hause machen kann, versprechen oft mehr, als sie tatsächlich halten können.
Individuell – dennoch essenziell
Auch in der PE zeigt sich immer mehr: Es ist wichtig, den gesamten Menschen zu betrachten und sich nicht nur auf einzelne Parameter zu fokussieren. Dazu gehören neben medizinischen Aspekten auch Faktoren wie Lebensumstände, Gewohnheiten und persönliche Vorlieben. Berücksichtigen Ernährungsempfehlungen diese individuellen Umstände, können sie langfristig mitunter besser umgesetzt werden. All das ist bereits seit geraumer Zeit gelebte Praxis in der klassischen Ernährungsberatung. Dass das funktioniert, bestätigte auch die Food4Me-Studie mit rund 1.600 Teilnehmenden. Sie zeigte, dass auch Online-Beratung dabei helfen kann, den Lebensstil zu verbessern. Zusätzliche Daten wie Gen-Informationen oder Cholesterinwerte brachten dagegen keinen weiteren Vorteil.
Technisches Potenzial
Apps, Wearables und künstliche Intelligenz (KI) können hier eine wertvolle Ergänzung sein. Sie ermöglichen es, große Mengen individueller Daten – etwa zum Einkaufs-, Ess- und Bewegungsverhalten – zu erheben und auszuwerten. Dabei ist entscheidend, dass der Schutz sensibler Daten gewährleistet ist. Ebenso wichtig ist die Qualitätssicherung: Die zugrundeliegenden Daten und daraus abgeleiteten Empfehlungen müssen wissenschaftlich fundiert, aktuell und zuverlässig sein – das ist nicht immer gegeben. Die persönliche Beratung und das Einbeziehen sozialer und kultureller Aspekte bleiben dennoch weiterhin unverzichtbar, um nachhaltige Veränderungen im Ernährungsverhalten zu erzielen. Letztlich liegt das größte Potenzial wohl in einer Kombination aus menschlicher Begleitung und technischer Unterstützung. Das Ziel: Weg vom eindimensionalen Fokus auf Krankheitsvorbeugung, hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der neben Gesundheits-, auch Nachhaltigkeits- und Genussaspekte einbezieht.
Fazit
Personalisierte Ernährungsempfehlungen auf Basis von diversen Tests können die Motivation mitunter fördern, Langzeiteffekte sind bislang jedoch nicht wissenschaftlich bewiesen. Die Idee der PE ist grundsätzlich vielversprechend, aber sie bietet keine Wunderlösung – vielmehr geht es um eine sorgfältige Abwägung von wissenschaftlicher Evidenz und individuellen Bedürfnissen, um langfristig positive Effekte zu erzielen.
Personalisierte Ernährung oder Biohacking?
Personalisierte Ernährung und Biohacking verfolgen beide das Ziel, Gesundheit und Wohlbefinden individuell zu verbessern. Während sich personalisierte Ernährung speziell darauf konzentriert, die Ernährung auf Basis individueller Daten wie Genetik oder Stoffwechsel anzupassen, umfasst Biohacking einen breiteren Ansatz: Hier werden neben der Ernährung auch Schlaf, Bewegung oder Stressmanagement einbezogen. Beide Ansätze nutzen moderne Technologien, um Empfehlungen und Maßnahmen möglichst gut auf die einzelne Person abzustimmen.
Quellen:
- Celis-Morales C et al.: Effect of personalized nutrition on health-related behaviour change: evidence from the Food4Me European randomized controlled trial. International Journal of Epidemiology 46 (2): 578–588 (2017).
- Daniel H: DGE Arbeitsgruppe: Personalisierte Ernährung. DGE Wissen 9: 119-123 (2022).
- Daniel H et al.: Personalisierte Ernährung: Erfahrungen und Entwicklungen. 15. DGE-Ernährungsbericht, Kapitel 5, 189-211 (2024).
- Duale Hochschule Baden-Württemberg (Hrsg.): Personalisierte Ernährung – Anwendungsreife auf dem Prüfstand. Tagungsband zum Kongress am 5. Oktober 2021. https://www.food-management.online/perse (Zugriff: 23.05.2025).
- Holzapfel C: Genbasierte Ernährungsempfehlungen – Quo vadis? DGE Wissen 9: 116-118 (2022).
- Holzapfel C: Personalisierte Ernährung: Was können VerbraucherInnen zukünftig erwarten? Interview mit Prof. Dr. Christina Holzapfel. Ernährungs Umschau 70(4): 242–5 (2023).
- Holzapfel C et al.: Association between Single Nucleotide Polymorphisms and Weight Reduction in Behavioural Interventions – A Pooled Analysis. Nutrients 13 (3): 819 (2021).
- Holzapfel C et al.: Genetics and Epigenetics in Personalized Nutrition: Evidence, Expectations, and Experiences. Mol Nutr Food Res 66, 2200077 (2022).
- Lotz K et al.: Personalisierte Ernährung – State of the Art. Ernährung im Fokus 2:74-79 (2022).
- Yengo L et al.: Meta-analysis of genome-wide association studies for height and body-mass-index in ~700 000 individuals of European ancestry. Hum Mol Genet 27:3641-3649 (2018).




