20 Millionen Krebs-Neuerkrankungen weltweit im Jahr 2022 – Tendenz steigend. Doch in Vorsorge, Früherkennung und Therapie gibt es atemberaubend schnell Verbesserungen. Nur ein Beispiel: das Mammakarzinom.
Die Statistik Austria gibt einen deutlichen Hinweis darauf, wohin der Weg führt: Durch die demografische Entwicklung kommt es zu mehr Krebserkrankungen, während die Mortalität im Vergleich dazu zurückbleibt. Im Jahr 2023 gab es in Österreich exakt 46.518 Krebs-Neudiagnosen. Das waren um 15,6% mehr als im Jahr 2013. Gleichzeitig wurden vor zwei Jahren 20.906 Krebs-Todesfälle registriert. Das war ein Zuwachs um 4,6%.
„418.740 Menschen in Österreich lebten zu Jahresbeginn 2024 mit einer Krebsdiagnose. Bei fast der Hälfte der Betroffenen wurde die Diagnose bereits vor mehr als zehn Jahren gestellt. Durch den medizinischen Fortschritt sind die Überlebenschancen bei Krebs weiter gestiegen. 63% der Menschen, die zwischen 2015 und 2019 eine Krebsdiagnose erhalten hatten, waren fünf Jahre später noch am Leben. Bei Diagnosen fünf Jahre zuvor waren es 61%“, erklärte vor Kurzem Statistik Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.
Vor wenigen Wochen nannte der Wiener Chirurg und Präsident der österreichischen Studiengruppe für Brust- und Darmkrebs (ABCSG), Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, in Sachen Mammakarzinom folgende Zahlen: „Die Ein-Jahres-Überlebensrate von Brustkrebspatientinnen beträgt heute 95%, die Überlebensrate nach drei Jahren 90% und jene nach zehn Jahren 80%. Vergangenes Jahr lag die Brusterhaltungsrate bei den Operationen bei 98%.” 95% der österreichischen Mammakarzinom-Patientinnen würden derzeit an dafür zertifizierten Zentren versorgt.
Vorsorge – neue Strategien
Bei allen Erfolgen der Medizin, am sprichwörtlich „gescheitesten“ wäre natürlich ein Verhindern oder Hinauszögern von Krebserkrankungen.
Insgesamt gehen Epidemiologen davon aus, dass rund 40% dieser Krankheiten verhinderbar wären. Das ist je nach Karzinomerkrankung natürlich unterschiedlich. Die größte Wirkung hätte eine rauchfreie Gesellschaft. Immerhin ist das Qualmen an 90% der Lungenkarzinome ursächlich beteiligt ist.
BMI größer 30 – Brustkrebsrisiko nach Menopause plus 68%
Doch auch Brustkrebs ist hier ein Beispiel: Die häufigste Form, das hormonabhängige Mammakarzinom, steht offenbar speziell bei Frauen nach der Menopause besonders oft mit Adipositas in Verbindung. 40% der Erkrankungen gehen offenbar darauf zurück.
Die spanische Epidemiologin Naiara Cubelos-Fernandez vom Institut für Biomedizin der Universität von Leon und ihre Co-Autoren haben vor Kurzem diese Assoziation zwischen Körpergewicht bzw. Körperfettanteil und Mammakarzinomen genau berechnet. Man verglich die Daten von 1.033 Probandinnen mit Brustkrebs mit den Informationen von 1.143 Frauen ohne diese Erkrankung.
Demnach steigt das Brustkrebsrisiko bei Frauen nach der Menopause mit jedem überflüssigen Kilo an. Übergewichtige Frauen erkrankten um 52% häufiger an einem postmenopausalen Mammakarzinom. Bei einer Adipositas Grad I (BMI größer 30) stieg das Risiko um 68%.
Eine mögliche Erklärung dafür: Mit dem Wechsel setzt die Produktion von Östrogen in den Eierstöcken aus. Die Fettzellen bleiben als Produktionsort für Östrogen übrig. Mehr Körperfett bedeutet also mehr körpereigenes Östrogen. Etwa 70% der Mammakarzinome weisen Hormonrezeptoren an der Zelloberfläche auf.
Medikamentöse Vorbeugung?
Gerade beim hormonabhängigen Brustkrebs hat Großbritannien im November 2023 in Sachen medikamentöser Prävention einen großen Schritt vorwärts gemacht. Der Aromatasehemmer Anastrozol wurde für die Vorbeugung des Mammakarzinoms zugelassen.
Lebensstil mit fettreicher Ernährung, Adipositas (s.o.), Rauchen, Alkohol, zu wenig körperliche Aktivität, das Alter, erbliche Faktoren, Vorerkrankungen und hormonelle Faktoren sind potenzielle Einflussfaktoren. Eine medikamentöse Prävention könnte zuvorderst die hormonellen Faktoren beeinflussen. Dazu gibt es gute Daten aus der sogenannten IBIS-II-Präventionsstudie (siehe Kasten). Die Frage ist nur, wie man Frauen mit einem höheren Brustkrebsrisiko definiert bzw. überhaupt definieren könnte. Beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ (Heidelberg) führte man als Möglichkeiten folgende Faktoren an: Bei einem niedrigen/durchschnittlichen Risiko erkranken weniger als 13 von 100 Frauen im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom. Bei einem mittleren Risiko wären das aber schon 20 bis 30%. Dazu könnten Frauen mit Verwandten mit Brustkrebs (Mutationen mit einem niedrigen oder moderaten Risiko), früher erster Regelblutung und spätem Eintritt in den Wechsel, Kinderlosigkeit und ohne Stillzeiten zählen. Bei einem hohen Risiko liegt schließlich die Mammakarzinom-Gefährdung bei 80 bis 90% (mutierte Hochrisiko-Gene wie BRCA1/BRCA2).
Laut dem DKFZ könnte eventuell eine medikamentöse Prävention von Brustkrebs auch schon vor der Menopause mit Tamoxifen in Betracht gezogen werden. Nach den Wechseljahren könnten dann Raloxifen oder Aromatasehemmer wie Anastrozol in Frage kommen.
Erbliche Belastung häufiger als ursprünglich angenommen
Wesentlich könnte in Zukunft in Sachen Brustkrebs sowohl eine genauere Risikobestimmung für Frauen als auch eine Beeinflussung möglicher genetischer Faktoren werden. So erklärte der Wiener Spezialist Univ.-Prof. Dr. Christian Singer (MedUni Wien/AKH): „Wir wissen heute, dass etwa 5 bis 7% der Mammakarzinom-Erkrankungen durch BRCA1 bzw. BRCA2 verursacht werden. Das ist ein erbliches Risiko. Aber wir schätzen gleichzeitig, dass insgesamt 10% bis 15% der Brustkrebserkrankungen familiär gehäuft auftreten.“ Hier dürften verschiedene vererbbare und in manchen Familien vermehrt auffindbare genetische Faktoren eine Rolle spielen, deren Ursächlichkeit für die Krebserkrankung nicht so eindeutig definiert werden kann.
Im Falle eines solchen Risikos werden derzeit mehrere Strategien angeboten. Singer: „Erstens ist das eine besonders engmaschige Überwachung, um ein allfälligerweise entstehendes Karzinom möglichst frühzeitig zu entdecken. Hier erfolgt am besten eine jährliche Screening-Untersuchung per Magnetresonanztomografie (MRT; Anm.).“
Die zweite Möglichkeit wäre für Frauen mit dem höchsten Risiko die chirurgische Entfernung des Brustgewebes. „Heute sind diese Eingriffe so gut, dass es sich fast um eine kosmetische Brustoperation handeln könnte“, sagte Singer.
Denosumab-Studie – Screening
Neben Tamoxifen und Anastrozol könnten sich in der medikamentösen Prävention des Mammakarzinoms noch weitere Möglichkeiten eröffnen. Singer nannte hier eine ABCSG-Studie, die derzeit läuft: „Es handelt sich um die ABCSG-Studie 50, auch BRCA-P genannt. Es ist eine randomisierte doppelblinde und Placebo-kontrollierte internationale Untersuchung der Phase III. Rund 350 Patientinnen, die eine BRCA1-Mutation aufweisen, nehmen daran teil. Sie erhalten fünf Jahre lang das Denosumab. Danach folgt eine fünf Jahre dauernde Beobachtungsphase. Schließlich soll sich zeigen, ob Denosumab die Entstehung von Brustkrebs verhindern kann.“
Während es klar ist, dass bei Vorliegen von BRCA1-/BRCA2-Mutationen in Sachen Brust- und Ovarialkrebs höchste Aufmerksamkeit geboten ist, wären bessere Möglichkeiten zur Risikoeinschätzung insgesamt genauso wichtig. Singer: „Derzeit führen wir das Mammakarzinom-Screening mit Mammografie-Einladungen alle zwei Jahre (im Regelfall für alle Frauen zwischen 45 und 74 Jahren; Anm.) durch.“
Könnte man z.B. die Gruppe mit niedrigem Risiko besser definieren, ließen sich die Untersuchungsintervalle für diese Frauen eventuell ausdehnen. Hier könnte in Zukunft auch Künstliche Intelligenz eine Hilfe sein. Wenn so ein AI-System nicht nur – wie jetzt – eine Mustererkennungsanalyse aus Mammografiebildern liefert, sondern auch weitere Informationen wie z.B. Brustdichte und -struktur mit anderen individuellen klinischen Risikofaktoren (z.B. familiäre Belastung) kombiniert, wird es in Zukunft wohl möglich sein, ein individuelles Risikoprofil zu erstellen und somit ein individuelles, Risiko-adaptiertes Screening durchzuführen. Dann könnte man eventuell vielen Frauen mit einer geringen Gefährdung häufige Mammografien ersparen. Wobei die KI längst schon in der Radiologie in Sachen Krebs hilft: Bei der Verbesserung des Kontrasts zum besseren Erkennen von Strukturen in Mammografie, CT oder MR und natürlich in der Auswertung der Mammografien (siehe Kasten).
Erst vor Kurzem ist in den USA eine Studie vorgestellt worden, in der KI aus Daten wie Blutbild (z.B. Erythrozyten, Leukozyten), Laborparametern (z.B. Albumin, Chlorid) und einigen klinischen Angaben (z.B. BMI, frühere systemische Therapien) sowie Alter und Geschlecht ein zu erwartendes Ansprechen von Krebspatienten auf eine Immuntherapie (Checkpoint-Inhibitoren) zumindest genauso gut vorhersagte wie eine aufwendige Untersuchung auf die Mutationslast von Karzinomen (mehr Mutationen, besseres Ansprechen zu erwarten).
Besseres Therapiemonitoring
Einen wesentlichen Fortschritt könnte in Zukunft – für viele Karzinomerkrankungen, beispielsweise auch für das Mammakarzinom – die „Liquid Biopsy“ darstellen. Damit können das Erbgut aus ganzen im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTCs), zellfreie DNA (cfDNA), RNA oder sogenannte Vesikel, die von Tumorzellen ausgeschieden werden, analysiert werden.
In bestimmten Anwendungen ist man damit nicht mehr auf Gewebeproben angewiesen. „Die nicht-invasive Natur dieses Zuganges erlaubt eine Analyse des Profils eines ganzen Tumors, gleichzeitig aber auch eine in Echtzeit ablaufende Überwachung der Effektivität von Therapien und das Identifizieren von Resistenzmechanismen, um in der Folge eine zielgerichtete Behandlung zu ermöglichen“, schrieb dazu vor Kurzem ein internationales Wissenschafterteam mit wesentlicher österreichischer Beteiligung in „Molecular Oncology“.
Für Krebs-Screenings ist die Methode derzeit noch nicht geeignet. Aber der Einsatz als Verfahren zum Monitoring von Tumorerkrankungen wird breiter. „Bei Patientinnen mit nicht-metastasiertem Brustkrebs (Stadium I bis III) führte eine regelmäßige Überwachung der (im Blut; Anm.) zirkulierenden DNA zum Entdecken eines Fortschreitens der Erkrankung mit einer Sensitivität von 86 bis 93% und eine Spezifität (negativer Befund tatsächlich negativ; Anm.) von 100% – durchschnittlich um elf Monate früher als das Wiederauftreten der Erkrankung per Bildgebung (z.B. CT; Anm.) oder durch klinische Anzeichen entdeckt wurde“, schrieben die Wissenschafter.
Eine wesentliche Rolle dürfte der Liquid Biopsy in Zukunft möglicherweise auch in der Langzeitbeobachtung von medikamentös behandelten Karzinomerkrankungen zukommen. Immer öfter gelingt es der Medizin, Krebsleiden auch im fortgeschrittenen Stadium über Jahre hinweg unter Kontrolle zu halten. Dabei kommt es aber zu genetischen Veränderungen der bösartigen Zellen, welche zunächst verwendete medikamentöse Therapien unwirksam machen können.
Wiederum das Beispiel Mammakarzinom: Dieses kann ursprünglich hormonabhängig (Östrogen, Progesteron; Anm.) sein, mit der Zeit aber die Rezeptoren für diese Hormone verlieren. Damit ist ein Wirkungsverlust einer antihormonellen Therapie verbunden. Auf der anderen Seite können die Tumoren neue Mutationen (z.B. HER2-Mutationen; Anm.) entwickeln, welche sie wiederum für zielgerichtete Therapien empfindlich machen. Die Flüssig-Biopsie kann hier völlig neue Möglichkeiten bieten, die Biologie von Tumoren zu überwachen. Die neue Sicht auf Krebs – gleich mit einem Aspekt der Liquid Biopsy: Wissenschaftern des DKFZ Heidelberg ist es vor Kurzem weltweit erstmals gelungen, aus im Blut zirkulierenden Krebszellen, speziell aus therapieresistenten Keimzellen von Metastasen, stabile und vermehrbare Tumor-Organoide zu züchten. An diesen dreidimensionalen Tumormodellen lassen sich im Labor beispielsweise Therapeutika auf ihre Wirkung testen. In der Grundlagenforschung haben die beteiligten Wissenschafter des DKFZ auch gleich noch einen molekularen Signalweg von Mammakarzinomzellen entschlüsselt, der diesen trotz einer HER2-Blockade (Trastuzumab usw.) das Überleben sichern kann.
Anastrozol und IBIS-II-Präventionsstudie
An der klinischen Studie nahmen Frauen mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko (Alter, Verwandte mit Brustkrebs, gutartige Brusterkrankung mit erhöhtem Risiko) teil:
- 1.920 postmenopausale Frauen nahmen fünf Jahre lang täglich 1mg Anastrozol ein.
- 1.944 vergleichbare Frauen erhielten ein Placebo.
- Die Beobachtungszeit betrug bis zu zehn Jahre.
- Nach fünf Jahren waren 40 Frauen aus der Anastrozol-Gruppe an Brustkrebs erkrankt, in der Kontrollgruppe waren es 85. Das bedeutete eine Risikoreduktion um 53%.
- Nach zehn Jahren waren 85 der Probandinnen in der Anastrozol-Gruppe erkrankt, ebenso 165 aus der Placebo-Gruppe. Das bedeutete eine Risikoreduktion um 49% und zeigte, dass die medikamentöse Prävention auch noch fünf Jahre nach deren Ende wirkte.
- Allerdings darf nicht vergessen werden: Weder die Mammakarzinom- noch die Gesamtmortalität wurden durch die medikamentöse Prävention beeinflusst.
Krebs in Österreich
Hier die wesentlichen Daten zu den häufigsten Krebsleiden in Österreich:
- 2023 erhielten in Österreich 21.821 Frauen und 24.697 Männer eine Krebsdiagnose.
- Die zahlenmäßig am meisten ins Gewicht fallenden Diagnosen waren bösartige Tumore der Brust bei Frauen (6.902 Fälle) und bösartige Tumore der Prostata bei Männern (7.485 Neuerkrankungen).
- Dann kam das Lungenkarzinom mit 5.232 Fällen (4.136 Todesfälle – in beiden Geschlechtern an der Spitze).
- Beispiel Mammakarzinom: Auf Brustkrebs entfielen 2023 rund 32% der Neuerkrankungsfälle bei Frauen sowie 17% aller Krebssterbefälle. Damit war diese Karzinomerkrankung die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache.
KI in der Mammografie: Effizienz verbessert
Eine erst vor Kurzem veröffentlichte Studie der Universität Lübeck zum Einsatz von Artificial Intelligence in der Mammografie hat ein äußerst positives Ergebnis gebracht:
- Ausgewertet wurden die Daten von mehr als 460.000 Frauen, die zwischen 2021 und 2023 am deutschen Mammakarzinom-Früherkennungsprogramm teilgenommen hatten.
- Etwa die Hälfte der Mammografien wurde mithilfe von KI analysiert, während die andere Hälfte durch traditionelles doppeltes Beurteilen von jeweils zwei Radiologen ausgewertet wurde.
- Die Ergebnisse übertrafen alle Erwartungen: KI verbesserte die Brustkrebs-Erkennungsraten deutlich.
- AI identifizierte 6,7 Fälle von Brustkrebs pro 1.000 untersuchten Frauen, verglichen mit 5,7 Fällen pro 1.000 mit herkömmlichen Methoden durch 119 Radiologen.
- Damit wurde die Erkennungsrate um 18% verbessert – ohne mehr falsch positive Befunde.




