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Krankhaftes Übergewicht: Trauerspiel Adipositas

4,6% der Gesundheitsausgaben und mindestens 4.000 Todesopfer pro Jahr. Das sind Konsequenzen des auch in Österreich immer größer werdenden Problems mit krankhaftem Übergewicht. Gegenmaßnahmen wären dringend erforderlich. 

Nichts, aber auch schon gar nichts, spricht gegen das endgültige Einmotten der schönen alten Waagen in den österreichischen Apotheken. Gewichtskontrolle wäre angesagter denn je. Das haben vor Kurzem Experten des Instituts für Höhere Studien (IHS) mit dem Gesundheitsökonomen Thomas Czypionka in einer groß angelegten wissenschaftlichen Studie belegt.

Selten gibt es derart detaillierte und akribisch berechnete Daten zu einem Gesundheitsproblem in Österreich. Das hat seinen durchaus guten Grund. „Übergewicht und Adipositas sind in Österreich zunehmend verbreitet. Laut Statistik Austria sind knapp 35% der Menschen über 15 Jahre übergewichtig (BMI ≥ 25), etwa 17% leiden an Adipositas (BMI ≥ 30)“, so die Wissenschafter über die Ausgangslage.

Die Studie ist in „BMC Public Health“ erschienen. Die Methoden sind abgesichert. „Wir verwendeten bevölkerungsgewichtete Umfragedaten zur Verteilung des Body-Mass-Index (BMI) und Daten zu den relativen Risiken bezüglich 83 Krankheiten“, heißt es in der Untersuchung. Mithilfe von Regressionsanalysen hätte man für 30 kostenintensive Erkrankungen die Folgen der Adipositas (bis zu einem BMI-Wert von 50!) geschätzt. Für die Kostenbewertung erstellte man Auswertungen zu direkten medizinischen und indirekten durch die Adipositas verursachten Ausgaben. Die Angaben zu den bestimmenden Faktoren stammten aus Krankheitskostenstatistiken und aus Quellen der öffentlichen Verwaltung.

Viel zu dick

An dem Faktum, dass in Österreich viel zu viele Menschen viel zu dick sind, geht kein Weg vorbei. Die Wissenschafter: „Im Jahr 2019 fielen 14,1% der erwachsenen österreichischen Bevölkerung in die Klasse I von Adipositas (BMI 30 – 34,9), weitere 4% in die Klasse II (BMI 35 – 39,9) und 1,4% in Klasse III von Adipositas (BMI ≥ 40).“

Dies entsprach einer Million Erwachsenen mit einem BMI zwischen 30 und 34,9. Hinzu kamen knapp 285.000 Erwachsene mit starker Adipositas II und immerhin noch zusätzlich rund 97.000 Menschen mit einem BMI größer 40. „Die Prävalenz bei werdenden Müttern beträgt 7,6%, 2,7% bzw. 0,1%. Für Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 19 Jahren haben wir nicht zwischen den Adipositas-Klassen unterschieden: 6,7% der Mädchen und 10,1% der Buben (10,4% der Burschen in der Altersgruppe zwischen 15 und 19 Jahre) sind nach den WHO-Standards für Kinder als fettleibig eingestuft, was 112.971 Kindern und Jugendlichen entspricht“, stellten Stephanie Reitzinger und Czypionka als Autoren der Untersuchung fest.

Ein Detail: Zwischen den Jahren 2003 und 2018 verdoppelte sich der Anteil der Burschen mit Adipositas der Klassen II und III bei der Bundesheerstellung.

Von Toten und Kosten

Jedenfalls waren laut den Berechnungen im Jahr 2019 8,2% der Todesfälle und 4,6% der Gesundheitsausgaben 2019 in Österreich auf Adipositas zurückzuführen. Das hatte auch gesamtwirtschaftliche Relevanz: eine Reduktion des Bruttoinlandsproduktes um 0,61%.

Bei den Gesundheitskosten stehen folgende Komplikationen von krankhaftem Übergewicht im Vordergrund:

  • Krankheiten des Herz-Kreislauf­systems: 35%
  • Stoffwechselerkrankungen: 23%
  • Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates: 11%
  • Lungenerkrankungen / Atemwegserkrankungen: 8%
  • Krankheiten des Verdauungs­systems: 7%
  • Psychische Erkrankungen / Verhaltensstörungen: 6%
  • Krebsleiden: 5%
  • Krankheiten des Uro-Genital­systems: 3%

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Adipösen die Haupttodesursache (49%). Bei den Krankenstandstagen sind allerdings mit einem Anteil von 46% die Komplikationen des Bewegungs- und Stützapparates der größte Faktor. Fettleibigkeitsbedingte Erkrankungen des Nervensystems (25%) kommen als zusätzlicher Grund für den Anspruch auf Arbeitsunfähigkeit hinzu.

Lebenslanger Schaden

Sehr eindrucksvoll sind auch die Daten zu den Konsequenzen von Adipositas über den Lebenszeitraum von Menschen hinweg (Berechnungen mit britischem Berechnungsmodell):

  • Ein normalgewichtiger Mann mit 45 Jahren hat noch eine Lebenserwartung von 36,7 Jahren. Bei den Frauen beträgt das statistisch sogar noch 40,4 Jahre.
  • Übergewicht (BMI 25 – 29,9) reduziert die verbleibende Lebensspanne bei den Männern auf 36,2, bei den Frauen auf 40,1 Jahre.
  • Bei Adipositas I liegen die erwartbaren Lebensjahre für Männer bei 35 Jahren, bei Frauen nur noch bei 39,1 Jahren.
  • Adipositas II: 34 Jahre für die Männer, 38,3 Jahre für die Frauen.
  • Stärkste Adipositas bedeutet eine Reduktion bei den Männern auf 31,8 Jahre, bei den Frauen auf 36,7 Jahre.
  • Gleichzeitig reduziert sich die zu erwartende Lebensspanne in guter Gesundheit vom Normalgewicht zu Adipositas III bei den Männern von 29,5 auf 19,8 Jahre, bei den Frauen von 32,5 auf 22,8 Jahre. Das ist eine Verkürzung um ein Jahrzehnt!

Die Wissenschafter: „Menschen, die mit 45 Jahren mit Hochrisiko-Adipositas leben, verlieren knapp fünf Lebensjahre bzw. sogar knapp zehn gesunde Lebensjahre.“

Forderungen

Aus Anlass der Vorstellung der Studie forderte die österreichische Adipositas Allianz (ÖAA), ein Zusammenschluss von medizinischen Fachgesellschaften und Patientenvertretern, vor allem mehr Bewusstsein bei Bevölkerung und gesundheitspolitisch Verantwortlichen für die Problematik. Es fehle schlichtweg auch das Anerkennen von Adipositas als Krankheit, wie das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) längst als solches definiert habe.

Foto von Dr. Florian Kiefer

Patienten mit Adipositas erleben häufig Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen und leiden gleichzeitig unter den gesundheitlichen Folgen der Erkrankung, die oft mit Einschränkungen im Alltag und Berufsleben einhergehen.

Dr. Florian Kiefer
Endokrinologe und Stoffwechselexperte an der MedUni Wien

Dr. Florian Kiefer, Endokrinologe und Stoffwechselexperte an der MedUni Wien: „Patienten mit Adipositas erleben häufig Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen und leiden gleichzeitig unter den gesundheitlichen Folgen der Erkrankung, die oft mit Einschränkungen im Alltag und Berufsleben einhergehen.“

Neben diesen direkten Auswirkungen von Adipositas stünden auch die mittelbaren Folgen: So erhöhe Adipositas eben signifikant das Risiko für mehr als 100 Folgeerkrankungen.“  Ganz ähnlich auch Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe für Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am IHS: „Angesichts der Zahlen sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Die Adipositas-Epidemie sollte nicht als Nebensächlichkeit abgetan werden. Sie ist ein zentrales Problem für die öffentliche Gesundheit und unsere Wirtschaft.“

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