Start Apotheke Primärversorgungseinheiten: „PVE sind keine Bedrohung für Apotheken, sondern eine Chance“

Primärversorgungseinheiten: „PVE sind keine Bedrohung für Apotheken, sondern eine Chance“

Was ist zu tun, wenn im Umfeld der eigenen Apotheke eine Primärversorgungseinheit (PVE) entsteht? David Wachabauer, Abteilungsleiter für Primärversorgung und Versorgungs­koordi­nation in der Gesundheit Österreich GmbH, und Harald Kuttner von der auf Ärzte und Apotheken spezialisierten Unternehmensberatung Steigflug, sind sich im Gespräch mit PharmaTime einig: „PVE sind keine Bedrohung für Apotheken, sondern eine Chance.“

Primärversorgungseinheiten (PVE) sind keine Bedrohung für Apotheken – die Gründe dafür liegen für die Experten auf der Hand: „Eine PVE mit ihrer Vielzahl an Ärzten und Gesundheitsberufen unter einem Dach erbringt Leistungen, die Einzelpraxen gar nicht bewältigen können oder die bisher in einem Gebiet gar nicht angeboten wurden“, sagt Harald Kuttner. „Einzelpraxen mit 1.500 Scheinen im Quartal gelten als relevante Einheiten. Im Vergleich: Große PVE streben bis zu 10.000 Scheine an.“ Mehr als sechsmal so viele Patientinnen und Patienten bedeuten auch großes Potenzial für nahegelegene Apotheken.

Frühzeitig Kontakt aufnehmen

Beide Experten empfehlen öffentlichen Apotheken, frühzeitig Kontakt mit den Betreibern der künftigen PVE aufzunehmen. „Es ist immer wichtig, mit großen Zuweisern eine gute Arbeitsbeziehung herzustellen“, so Kuttner. Da „gegebenenfalls die Kooperation mit öffentlichen Apotheken“ im Primärversorgungsgesetz wörtlich erwähnt wird, sollte man sich darüber austauschen, wie eine solche Zusammenarbeit aussehen kann.

David Wachabauer erinnert daran, dass PVE den Auftrag haben, in ihrem Versorgungsgebiet aktiv Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention zu betreiben: „Dazu könnten sie die Kompetenz der Apotheken in die PVE holen und etwa Fortbildungen für ihre Teams durch Apothekerinnen und Apotheker anbieten.“ Harald Kuttner sieht auch die umgekehrte Möglichkeit: „Apotheken könnten in ihren Räumlichkeiten Vorträge von PVE-Mitarbeitern für ihre Kundinnen und Kunden organisieren, etwa zu Ernährung.“

Harald Kuttner - Unternehmensberatung Steigflug

Eine PVE mit ihrer Vielzahl an Ärzten und Gesundheitsberufen unter einem Dach erbringt Leistungen, die Einzelpraxen gar nicht bewältigen können oder die bisher in einem Gebiet gar nicht angeboten wurden.

Harald Kuttner
Unternehmensberatung Steigflug

Option einer Filiale prüfen

Bei großen PVE ist auch zu überlegen, eine Apotheken-Filiale direkt im Primärversorgungszentrum einzurichten oder gleich dorthin zu übersiedeln. Es zahlt sich auf jeden Fall aus, diese Option genau zu prüfen. Denn es könnte sich ein anderer Konzessionär um eine neue öffentliche Apotheke in oder nahe der PVE bewerben, falls die Bedarfsvoraussetzungen gegeben sind und keine Schutzregeln verletzt werden. „Bestandsapotheken sollten sich auf jeden Fall genau informieren“, rät Kuttner.

Die Sorge, ein Allgemeinmediziner könnte eine bestehende Hausapotheke in eine PVE einbringen und damit deren Umsatz stark steigern, weisen die beiden Experten zurück: „Aktuell sind Hausapotheken vor allem in Primärversorgungsnetzwerken in ländlichen Regionen zu finden, diese stellen derzeit  eher die Ausnahme dar“, meint Wachabauer.

Kaum Hausapotheken in PVE

Harald Kuttner stützt sich auf die Expertise von Rechtsanwalt Markus Lechner, der sich auf Ärztinnen und Ärzte spezialisiert hat: „Nach derzeitiger Rechtslage ist davon auszugehen, dass Primärversorgungszentren keine ärztlichen Hausapotheken betreiben dürfen“, stellt Lechner gegenüber PharmaTime klar. „Gemäß § 29 Abs 1 ApothekenG ist die Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke einem Arzt für Allgemeinmedizin zu erteilen, wenn er in einem kurativen Einzelvertragsverhältnis oder an einer ärztlichen Gruppenpraxis mit Kassenverträgen beteiligt ist, wobei § 29 Abs 1 ApothekenG auf § 342 Abs 1 ASVG verweist. Dort werden Einzelpraxen, Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten erwähnt, in § 29 Abs 1 ApothekenG jedoch nur Einzel- und Gruppenpraxen. Daraus ist zu schließen, dass Primärversorgungseinheiten gerade keine ärztlichen Hausapotheken führen dürfen.“

Foto von Markus Lechner Rechtsanwalt

Nach derzeitiger Rechtslage ist davon auszugehen, dass Primärversorgungszentren keine ärztlichen Hausapotheken betreiben dürfen.

Mag. Markus Lechner
Rechtsanwalt

Auch sei die Bewilligung zur Führung einer ärztlichen Hausapotheke eine höchstpersönliche Konzession, die nur einer Person, also einem Allgemeinmediziner, nicht aber einer juristischen Person wie einer OG erteilt werden könne, hält Markus Lechner fest. „Selbst wenn man davon ausginge, dass einem Arzt für Allgemeinmedizin, der an einer Primärversorgungseinheit beteiligt ist – diese Frage ist letztlich noch nicht ausjudiziert –, eine Hausapothekenkonzession erteilt werden könnte, müsste der Ordinationssitz sechs Straßenkilometer von der nächsten öffentlichen Apotheke entfernt sein. Dies ist erfahrungsgemäß nur in sehr ländlichen Gebieten der Fall, also dort, wo sich die Errichtung von Primärversorgungseinheiten wirtschaftlich wohl nicht rentieren würde.“ Neu entstehende Primärversorgungseinheiten im Umfeld der eigenen Apotheke sind aus Expertensicht jedenfalls eine große Chance. Wie immer, wenn ein neuer, wichtiger Player das Spielfeld betritt, gilt es aber, aktiv zu sein, Informationen einzuholen und kreative Lösungen zu suchen.

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