Bei der Entwicklung der Alzheimer-Demenz spielt der von Autoimmunerkrankungen her bekannte körpereigene Entzündungsbotenstoff Interleukin-12 (IL-12) wahrscheinlich eine entscheidende Rolle. Das haben deutsche Wissenschafter der Universitätsklinik Charité und des Max Delbrück-Zentrums in Berlin nachgewiesen. Die neue Erkenntnis könnte auch Wege zu einer besseren Behandlung eröffnen.
IL-12 aktiviert Mikroglia und fördert entzündliche Prozesse
Offenbar trägt das Immunsystem des Gehirns über IL-12 ursächlich dazu bei, dass sich eine Morbus-Alzheimer-Erkrankung verschlimmert. „Dabei sind Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, eigentlich gute Wächter. Sie beseitigen Eindringlinge wie Mikroben, putzen Zellmüll weg – auch die typischen Plaques, die bei Alzheimer entstehen“, hieß es in einer Aussendung der Charité. In einem alternden Gehirn könne das jedoch anders sein. Während manche Mikroglia-Zellen weiterhin gut funktionierten, verlören andere nach und nach ihre Schutzwirkung und begännen, dauerhaft in geringen Mengen Entzündungsbotenstoffe zu produzieren. Dies hätten Untersuchungen gezeigt, welche die Autorinnen und Autoren in Nature Aging publiziert haben.
Entzündung als möglicher Ausgangspunkt des Krankheitsgeschehens
„In der Alzheimer-Forschung wurde jahrzehntelang fast ausschließlich über die charakteristischen Ablagerungen von Amyloid-Beta und Tau (beides Proteine; Anm.) diskutiert. Entzündungen galten als Nebeneffekt“, wurde Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie der Charité, zitiert. „Dass Entzündungsprozesse kausal am Anfang der Kette stehen können, kommt erst allmählich in den Fokus.“
Eine Kooperation zur Analyse auf der Grundlage einzelner beteiligter Zellen durch Zusammenarbeit mit Nikolaus Rajewsky, Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück-Zentrums, brachte schließlich die neuen Erkenntnisse.
Die Ergebnisse, wie sie in der neuen Publikation1 beschrieben werden, sind: Der Entzündungsbotenstoff IL-12, den man bisher vor allem von Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn oder rheumatoider Arthritis (chronische Polyarthritis) kannte, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Morbus Alzheimer.
IL-12 schädigt Oligodendrozyten und Interneurone
„IL-12 schädigt zwei wichtige Zelltypen im Gehirn: zum einen die reifen Oligodendrozyten, die normalerweise die fettreiche Isolierschicht der Nervenfasern, das Myelin, produzieren. Die Isolierschicht ist entscheidend für eine schnelle Signalweiterleitung im Gehirn. Zum anderen dockt der Botenstoff bei bestimmten Nervenzellen, den Interneuronen, an und lässt sie absterben. Diese speziellen Nervenzellen sind für Kognition und Gedächtnis besonders wichtig. Ein Teufelskreis beginnt: Je mehr Mikroglia IL-12 produzieren, desto mehr Zellen sind geschädigt. Und die noch funktionalen Mikroglia sind damit abgelenkt, zusätzlichen Zellmüll wegräumen zu müssen, statt Alzheimer-Plaques abzubauen“, schrieb die Charité.
„Wir haben jetzt ein sehr detailliertes Bild über den Mechanismus (…). Offen ist eigentlich nur noch die Frage, welcher Zelltyp zuerst betroffen ist – die Oligodendrozyten, die Interneurone oder beide“, sagte Heppner. Besonders vielversprechend: Es gibt auf dem Markt bereits zugelassene Medikamente, die IL-12 blockieren. Um einen Beweis für eine Wirksamkeit zu bekommen, müssten jetzt aber klinische Studien mit Patienten erfolgen.
Originalveröffentlichung:




