Die Ausbreitung der Vogelgrippe H5N1 rückt das Konzept von „One Health“ in den Fokus. Expertinnen und Experten betonen: Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ist untrennbar miteinander verbunden.
Seit Anfang November gilt in ganz Österreich ein erhöhtes Risiko für Vogelgrippe. Auslöser ist eine besonders anpassungsfähige Variante des Virus H5N1, die sich weltweit verbreitet. Die Erkrankung betrifft nicht nur Wild- und Nutztiere, sondern kann unter bestimmten Umständen auch für den Menschen gefährlich werden. Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) nahm diese Entwicklung zum Anlass, auf einer Fachtagung in Wien das „One Health“-Konzept als strategischen Ansatz zu diskutieren.
Virologe Krammer: Pandemie derzeit unwahrscheinlich – Risiko bleibt
Der in Wien und New York tätige Virologe Florian Krammer sieht aktuell keine unmittelbar bevorstehende Pandemie durch H5N1. Dennoch sei die Lage ernst: Das Virus, insbesondere die Variante Klade 2.3.4.4b, ist hochpathogen und hat bereits gravierende ökologische und wirtschaftliche Schäden verursacht. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde bisher nicht bestätigt, sei jedoch nicht ausgeschlossen.
Besonders kritisch wäre eine gleichzeitige Infektion mit saisonalen Grippeviren und H5N1, erklärt Krammer. Es bestehe die Gefahr, dass sich das Erbgut beider Viren neu kombinieren könnte und eine hochinfektiöse Variante entstehe. Historisch gesehen waren solche Rekombinationen Auslöser schwerer Influenza-Pandemien.
Zoonosen: Wenn Tiere zur Gesundheitsgefahr werden
Die Übertragung von H5N1 auf Säugetiere wurde bereits vielfach dokumentiert – unter anderem bei Kühen in den USA oder Pelztieren in Finnland und Spanien. Diese tierischen Infektionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Virus an den Menschen anpasst. Auch milde Fälle bei infizierten Landwirtinnen und Landwirten in den USA belegen das Risiko.
Das Virus infiziert vor allem Milchdrüsen und wurde in abgetöteter Form bereits in Milchproben in den USA nachgewiesen. Besonders gefährdet sind Personen mit engem Tierkontakt – etwa Geflügelhalter, Jägerinnen und Jäger oder Veterinärmedizinerinnen und -mediziner. Für diese Gruppen empfiehlt Krammer sowohl die Influenza-Schutzimpfung als auch – bei erhöhtem Risiko – eine H5-Impfung, die in Österreich verfügbar ist.
One Health: ein integrierter Ansatz
Die Fachtagung der AGES verdeutlichte, wie zentral das One-Health-Prinzip für eine zukunftsfähige Gesundheitspolitik ist. Es sei eine Illusion zu glauben, Menschen könnten gesund leben, wenn Umwelt und Tiere kränkeln, betonte Jakob Zinsstag vom Swiss Tropical and Public Health Institute. Nur durch koordinierte Maßnahmen könne man Zoonosen langfristig eindämmen – wie das Beispiel der erfolgreichen Bekämpfung der Fuchstollwut zeigt.
Der One-Health-Ansatz fordert Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg: zwischen Humanmedizin, Veterinärmedizin, Umweltwissenschaft und Politik. Die Tagung „One Health: Building Bridges“ soll dazu beitragen, diese Kooperation in Österreich und darüber hinaus zu stärken.
Überwachung als Schlüsselmaßnahme
Ein zentrales Element ist laut AGES-Geschäftsführer Johannes Pleiner-Duxneuner die integrierte Überwachung von Mensch, Tier und Umwelt. In der Region Emilia Romagna in Italien funktioniert bereits ein entsprechendes System, das auch Mücken, Wildvögel, Pferde und Menschen umfasst. In Österreich existiert etwa für das West-Nil-Virus eine gemeinsame Überwachung im veterinär- und humanmedizinischen Bereich.
Auch chemische Umwelteinflüsse wie PFAS („Ewigkeitschemikalien“) oder klimabedingte Gesundheitsrisiken wie Hitze müssten in die Modelle einbezogen werden. Dafür brauche es ein interdisziplinäres, vernetztes Denken – weg vom Silodenken hin zu einer ganzheitlichen Sichtweise auf Gesundheit.
EU und Kanada als Vorreiter
Die Europäische Union arbeitet an der Operationalisierung von One Health, sieht sich aber mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert. Als Vorbild gilt Kanada, wo integrierte Systeme zur Antibiotikaüberwachung und Seuchenbekämpfung bereits erfolgreich laufen. In Europa sei die AGES mit ihrer themenübergreifenden Struktur gut aufgestellt und könne als Modell für andere Länder dienen.




