Start Apotheke Tara RPI2024: Ausweg aus dem Retaxierungschaos

RPI2024: Ausweg aus dem Retaxierungschaos

Bereits acht Monate kämpfen Österreichs Apotheken mit den Folgen der Dachverband-Richtlinie RPI2024 zur Erstattung parallel importierter Arzneispezialitäten. Nun gibt es erste Verhandlungs­ergebnisse, die Erleichterung und Planungssicherheit bieten sollen. PharmaTime kennt die Details.

Die letzten Monate waren ein Wahnsinn. Ich bin gespannt, ob uns die versprochenen Neuerungen aus der Misere reißen werden. Ich befürchte, einige Apotheken wird es dennoch hart treffen“, gibt sich eine Apothekerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, am Rande des APOkongresses in Schladming abwartend bis ernüchtert.

Die letzten Monate waren ein Wahnsinn.
Ich bin gespannt, ob uns die versprochenen
Neuerungen aus der Misere reißen werden.
Ich befürchte, einige Apotheken wird es
dennoch hart treffen.

Apothekerin
APOkongress in Schladming

Dieser Unmut über die letzten Monate ist kein Einzelfall. Waren sie doch für Österreichs Apothekerinnen und Apotheker von Chaos, Frust, Bürokratie bis hin zu Existenzängsten geprägt. Kaum ein anderes Thema war so präsent wie das der Retaxierungen von parallel importierten Arzneispezialitäten. Ihnen war eine am 1. Juli 2024 in Kraft getretene Richtlinie (RPI2024) des Dachverbands der Sozialversicherungsträger vorangegangen. Voll- bzw. Nullretaxierungen hatten zur Folge, dass zahlreiche Apotheken auf hohen Kosten sitzenblieben. Dem Vernehmen nach sollen es Beträge bis zu rund 60.000 Euro gewesen sein, die die Sozialversicherungsträger einzelnen Apotheken nicht erstattet haben sollen.

Nach langwierigen und zuletzt intensiven Verhandlungen zwischen der Österreichischen Apothekerkammer und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger konnte nun, acht Monate später, eine Einigung erzielt werden, wie die Kammerpräsidentin Mag.pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr beim APOkongress in Schladming Mitte März verkündete. Die erzielten Neuregelungen sollen zu mehr Rechtssicherheit für beide Seiten führen, Apotheken mehr Gewissheit über die zu erwartende Erstattung geben und den Einreichprozess teilweise automatisieren und langfristig digitalisieren.

Bisherige Regelung bis 30. April 2025

Seit 1. Juli 2024 regelt die Richtlinie RPI2024 des Dachverbands der Sozialversicherungsträger, welche Voraussetzungen von Österreichs Apotheken einzuhalten sind, um an Kundinnen und Kunden abgegebene Arzneispezialitäten erstattet zu bekommen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die vorliegende Richtlinie bisher einseitig erlassen wurde und ebenfalls einseitig seitens des Dachverbandes jederzeit hätte verändert werden können, was wenig Raum für Planbarkeit und Rechtssicherheit für Apotheken bietet.

Konkret stellt die RPI2024 den Apotheken zwar eine Wahlfreiheit zwischen Direkt- und Parallelimporten, dies jedoch nur, wenn diese auch im Erstattungskodex (EKO) gelistet sind. Dabei ist für die Erstattung nicht maßgeblich, was auf der ärztlichen Verordnung steht – auch dann nicht, wenn eine chefärztliche Bewilligung vorliegt. Ist das abzugebende Arzneimittel nicht im EKO gelistet, darf auf die No-Box ausgewichen werden, wobei hier das Ökonomiegebot gilt. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur das für die Sozialversicherung ökonomisch günstigste Arzneimittel abgegeben werden darf.

Bei diesem Punkt waren die Sozialversicherungsträger – vor allem nach Auslaufen einer Kulanzregelung Ende September 2024 – in den letzten Monaten besonders genau. War das Arzneimittel zum Zeitpunkt der Abgabe nämlich nicht mehr das günstigste, wurde vollretaxiert. Unerheblich dabei war, ob der Differenzbetrag vielleicht nur wenige Cent ausmachte.

Neuerungen ab 1. Mai 2025

Genau das und noch andere Punkte sollen sich ab 1. Mai 2025 ändern:

3 Euro Schwellenwert (No-Box): Bei der gerechtfertigten Abgabe aus der No-Box (siehe oben) wird künftig ein Schwellenwert von drei Euro gelten. Das verhindere laut Kammeramtsdirektion nach derzeitiger Schätzung rund 40% aller Retaxierungsfälle. Liegt die Abweichung des Preises also in diesem Bereich, wird der volle Preis des abgegebenen Arzneimittels erstattet.

Doppelte Differenzretaxierung (No-Box): Wird innerhalb der No-Box ein Produkt abgegeben, das außerhalb des neuen Schwellenwerts liegt, kommt es künftig zu einer Differenzretaxierung. Zusätzlich wird ein Zuschlag in der Höhe der Differenztaxierung bis zu einem gedeckelten Höchstwert von 35 Euro hinzugerechnet. Kostet also ein abgegebenes Produkt vier Euro mehr als der Kassenverkaufspreis (KVP) der günstigsten verfügbaren Arzneispezialität, so erhält die Apotheke eine Differenzretaxierung in der Höhe von vier Euro. Zusätzlich kommen vier Euro hinzu, die seitens der Sozialversicherung als Ausgleich für den Aufwand durch Schwellenwert und Retaxierung gesehen werden – quasi eine „Strafzahlung“. Ist die Preisdifferenz 1.000 Euro, so werden 1.000 plus 35 Euro retaxiert.

30% Teilretaxierung: Wird ein Arzneimittel aus der No-Box abgegeben, obwohl ein im EKO gelistetes Produkt verfügbar gewesen wäre, kommt es künftig zu einer Teilretaxierung von 30%. Somit muss die Apotheke knapp ein Drittel der Kosten selbst tragen.

Entscheidungszeitpunkt: Neu wird auch der Entscheidungszeitpunkt der Erstattung sein. Bisher war dies das Abgabedatum. Künftig soll das Einlösedatum maßgeblich sein – in einer Übergangszeit ein Datum zwischen der Verschreibung und der Abgabe. Konkretisierungen seien noch Gegenstand der Verhandlungen und sollen noch folgen.

Nichtlieferbarkeitsbestätigung: Eine Erleichterung soll es auch in Bezug auf die Beweisführung einer Nichtverfügbarkeit geben. Waren bisher zwei Bestätigungen eines Großhandels notwendig, so wird künftig eine reichen. Bei Direct-to-Pharmacy ändert sich nichts und bedarf es weiterhin der Bestätigung des Unternehmens, das für den Vertrieb bevollmächtigt ist.

Kontingentierung: Auch soll die Definition von Nichtlieferbarkeit auf kontingentierte Ware erweitert werden. Somit wird auch eine Nichtverfügbarkeit durch Kontingentierung ein Grund sein, auf die No-Box ausweichen zu können.

Volldigitalisierung bis 1. Jänner 2026: Es wird angestrebt, dass der Abrechnungs- und Nachweisprozess bis 1. Jänner 2026 volldigitalisiert wird. Ab diesem Zeitpunkt (oder bei technischer Realisierung schon früher) soll als Nachweis der Nichtverfügbarkeit ein Screenshot eines Großhändlers oder Ähnliches gelten, mit dem die Apotheke in einer aufrechten Geschäftsbeziehung ist.

Rechtsgrundlage für Neuerungen

Die genannten Neuerungen gelten, wie PharmaTime auf Nachfrage bestätigt wurde, sowohl für den Dachverband als auch die Apothekerkammer grundsätzlich als vereinbart. Final beschlossen müssen diese jedenfalls offiziell noch auf beiden Seiten werden. Zu Redaktionsschluss war dies noch nicht erfolgt. Dies gilt dem Vernehmen nach aber als Formsache, da man die kommunizierten Punkte gemeinsam erarbeitet habe und sich darin einig wurde.

Rechtlich wird ein Zusatz zum Gesamtvertrag zwischen Apotheken und dem Dachverband geschaffen. Die daraus resultierenden Vorteile sind die Rechtssicherheit und die Planbarkeit für beide Seiten, da eine einseitige Kündigung dann nicht mehr möglich ist.

Anders sieht es hingegen in Bezug auf die „Altlasten“, also die immer noch „schwebenden“ Retaxierungsverfahren aus. Die Apothekerkammer hat ihren Mitgliedern daher sehr früh schon geraten, die abgewiesenen Einreichungen immer wieder einzureichen, damit diese „in Bearbeitung“ bleiben. Bei Vorliegen einer neuen Regelung gäbe es damit unter Umständen doch noch eine Chance auf Erstattung.

Genau dieser Zeitpunkt steht nun offensichtlich kurz bevor. Damit aber diejenigen Arzneispezialitäten, die während der Geltungsdauer der RPI2024 abgegeben, aber noch nicht abgegolten wurden, neu eingereicht und nach den neuen Regelungen abgerechnet werden können, muss zuvor eine Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) beschlossen werden. Dafür bedarf es noch einer gesetzlichen Bevollmächtigung mittels Nationalratsbeschlusses.

Mag.pharm. Dr. Gerhard Kobinger, 2. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer

Besser spät als nie. Ich begrüße im Namen der Apothekerschaft die nach intensiven Verhandlungen nun vorliegende Lösung. Sie ist inhaltlich eindeutiger, verständlicher und, was besonders wichtig ist: Sie ist für die Kolleginnen und Kollegen an der Tara praktikabel. Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine weitere Schädigung der Apotheken, Stichwort Nullretaxierung, endgültig zu verhindern. Es ist bedauerlich, dass es mit dem Dachverband nicht früher zu dieser Lösung gekommen ist. Aber wie gesagt: besser spät als nie.

Mag.pharm. Dr. Gerhard Kobinger
2. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer

Kritik an der Apothekerkammer

Seit Inkrafttreten der Richtlinie – und auch schon davor – stand die Österreichische Apothekerkammer in stetem Austausch und Verhandlungen mit dem Dachverband der Sozialversicherungsträger, um eine Verbesserung der Situation für Apotheken zu erzielen (siehe Kasten zur Chronologie der Ereignisse). Immer wieder stand die Kammer unter Apothekerinnen und Apothekern in der Kritik, unzureichend informiert zu haben. Tatsächlich findet sich die erste Erwähnung der Richtlinie erst in einer Kammer-Info vom 27. Juni 2024 – also vier Tage vor Inkrafttreten. PharmaTime wollte daher wissen, weshalb Österreichs Apotheken erst so knapp davor informiert wurden. Dabei wurden seitens der Kammer laufende Gespräche und die Hoffnung ins Treffen geführt, dass die angemerkten Überarbeitungsvorschläge doch noch im finalen Text Berücksichtigung finden könnten. Der finale Richtlinientext zeigte jedoch, dass der Dachverband den Anliegen der Apothekerschaft kein bedeutendes Gewicht beimaß und die erhofften Änderungen nicht einfließen hatte lassen.

Mag.pharm. Raimund Podroschko, 1. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer

Die neue Richtlinie ist aus Sicht der angestellten Apothekerinnen und Apotheker noch immer nicht befriedigend, aber zumindest ein gewisser Fortschritt. Die gröbsten Härtefälle wurden abgemildert, aber es fehlen nach wie vor Antworten auf einige Fragen, etwa, wie mit Altfällen umzugehen ist. Da muss es vor dem Inkrafttreten eine Einigung zwischen Kammer und Dachverband geben. Nur so kann die jahrelange Knochenarbeit in dieser Verhandlungs-Untergruppe zu einem akzeptablen Ergebnis führen.

Mag.pharm. Raimund Podroschko
Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer

Reaktionen

Was darauf folgte, war ein Dialogversuch und ein Verhandeln von temporären Kulanzlösungen, mit dem großen Ziel vor Augen, eine Einigung zu erzielen, die die unannehmbare Situation für Apotheken verbessern würde.

Die über Monate hinweg laufenden Verhandlungsgespräche beschreibt Kammeramtsdirektor Mag. Walter Marschitz, BA, der die Verhandlungen koordinierte, wie folgt: „Die Gespräche mit dem Dachverband waren grundsätzlich konstruktiv und lösungsorientiert. Was die Dinge kompliziert macht, sind die aufwendigen Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Trägern und mit den unterschiedlichen Entscheidungsebenen in den Sozialversicherungen.“

Grundsätzlich zufrieden zeigt sich Verhandlungsführer Mag.pharm. Dr. Gerhard Kobinger, 2. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer: „Besser spät als nie. Ich begrüße im Namen der Apothekerschaft die nach intensiven Verhandlungen nun vorliegende Lösung. Sie ist inhaltlich eindeutiger, verständlicher und, was besonders wichtig ist: Sie ist für die Kolleginnen und Kollegen an der Tara praktikabel. Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine weitere Schädigung der Apotheken, Stichwort Nullretaxierung, endgültig zu verhindern. Es ist bedauerlich, dass es mit dem Dachverband nicht früher zu dieser Lösung gekommen ist. Aber wie gesagt: besser spät als nie.“

Auch für Mag.pharm. Raimund Podroschko, 1. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer, ist das erzielte Ergebnis grundsätzlich positiv, wenn auch einige Punkte für ihn noch offen bleiben: „Die neue Richtlinie ist aus Sicht der angestellten Apothekerinnen und Apotheker noch immer nicht befriedigend, aber zumindest ein gewisser Fortschritt. Die gröbsten Härtefälle wurden abgemildert, aber es fehlen nach wie vor Antworten auf einige Fragen, etwa, wie mit Altfällen umzugehen ist. Da muss es vor dem Inkrafttreten eine Einigung zwischen Kammer und Dachverband geben. Nur so kann die jahrelange Knochenarbeit in dieser Verhandlungs-Untergruppe zu einem akzeptablen Ergebnis führen.“

Ergebnis ist ein „Team-Effort“

Seitens der Kammer wurde betont, dass das Erzielen der vorliegenden Verhandlungsergebnisse ein echter „Team-Effort“ war. So wurde Gerhard Kobinger von zahlreichen Expertinnen und Experten fachlich unterstützt: MMag. Dr. Thomas Rehor (Gehaltskasse), Mag. Andreas Eichtinger (Rechtsabteilung der Apothekerkammer), Mag. Josef Fasching (Wirtschaftsabteilung der Apothekerkammer) und Mag. Wolfgang Trattner (Österreichischer Apothekerverband) und Mag.pharm. Peter Gonda.

Auf der SV-Führungsebene übernahmen die politischen Agenden Kammerpräsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr, Kammeramtsdirektor-Stellvertreterin Mag. Elisabeth Zimmerer sowie Mag.pharm. Raimund Podroschko und Mag.pharm. Thomas Veitschegger.

Mag. Walter Marschitz, BA Kammeramtsdirektor der Österreichischen Apothekerkammer

Die Gespräche mit dem Dachverband waren grundsätzlich konstruktiv und lösungsorientiert. Was die Dinge kompliziert macht, sind die auf­wendigen Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Trägern und mit den unterschiedlichen Entschei­dungs­ebenen in den Sozialversicherungen.

Mag. Walter Marschitz, BA
Kammeramtsdirektor der Österreichischen Apothekerkammer

Fazit

Nach Monaten der Unsicherheit, sind nun neue Regelungen in greifbarer Nähe. Mit 1. Mai 2025 sollen zwischen der Apothekerkammer und dem Dachverband vereinbarte Neuerungen für mehr Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Klarheit führen. Davor bedarf es jedenfalls noch der beidseitigen offiziellen Absegnung auf Gremienebene. Ob das Ergebnis der langwierigen Verhandlungen für den Großteil der Apotheken zufriedenstellend ist, wird man in den nächsten Monaten sehen. Dann wird auch klar sein, was mit den „Altlasten“ passiert und auf wie viel Geld Österreichs Apotheken schlussendlich „sitzenbleiben“.

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