Fachleute warnen: Die medikamentöse Gewichtsreduktion mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten baut nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse ab. Dies hat mögliche gesundheitliche Folgen insbesondere für vulnerable Patientengruppen.
Muskelverlust trotz Therapieerfolg
Auf dem diesjährigen Kongress der Europäischen Kardiologengesellschaft (ESC) in Madrid wurde, wie das Deutsche Ärzteblatt kürzlich berichtete, eine zentrale Nebenwirkung der stark nachgefragten GLP-1-Rezeptor-Agonisten diskutiert: der Verlust an Muskelmasse trotz erfolgreicher Gewichtsabnahme.
Laut dem Berliner Kardiologen Stefan Anker von der Universitätsklinik Charité beträgt der Anteil fettfreier Körpermasse am Gesamtgewichtsverlust bei GLP-1-RA-Therapie bis zu 39% – insbesondere betroffen ist die Muskulatur. Bei Lifestyle-Interventionen durch Ernährungsmaßnahmen gehe der Verlust dagegen nicht über 25% hinaus.
Sarkopenie bei Adipositas
Haben adipöse Menschen zu wenig Muskulatur, spricht man von einer sarkopenischen Adipositas. Ein Zustand, bei dem trotz Übergewichts ein relevanter Muskelmangel besteht. Diese Konstellation ist mit verminderter Knochendichte, Kraftverlust, erhöhter Sturzgefahr und Fatigue verbunden.
Lebensstilinterventionen als Gegengewicht
Die Kombination aus medikamentöser Therapie, proteinreicher Ernährung und körperlicher Bewegung gilt derzeit als wirksamster Schutz vor dem Muskelabbau. Dennoch ist die Umsetzung in der Praxis schwierig. Stoffwechselforscherin Signe Torekov von der Universität Kopenhagen räumt ein, wie herausfordernd es sei, Patientinnen und Patienten zu einem aktiven Lebensstil zu motivieren.
Medikamentöse Zusatzstrategien in Entwicklung
Konsens bestand offenbar darin, dass es sehr schwierig sei, den Muskelverlust rein durch Ernährung und Muskeltraining hintanzuhalten. Angesichts dessen werden neue Wirkstoffe als Add-on-Therapie getestet.
Darunter beispielsweise Anabolika vom Typ SARM (selective androgen receptor modulators), Antikörper zur Stimulation des Muskelwachstums und Anti-Myostatine. „Allerdings kennen wir bereits Ernährungsprogramme und Lifestylemaßnahmen, mit denen wir jetzt schon auf natürliche Weise dem Muskelverlust entgegenwirken können“, betont der Diabetologe Stephan Martin.
Herzmuskulatur und Knochen sind mitbetroffen
GLP-1-RA könnten laut aktuellen Studien auch die linksventrikuläre Masse und Herzmuskelzellgröße reduzieren – mit potenziell negativen Folgen für die Herzfunktion. Auch Knochendichteverluste wurden dokumentiert, wenn kein begleitendes Trainingsprogramm durchgeführt wurde. Besonders relevant ist das für postmenopausale Frauen.
Der Jo-Jo-Effekt als zusätzliche Gefahr
Wird die Therapie abgebrochen – was laut Studien häufig der Fall ist –, zeigt sich ein deutlicher Rebound-Effekt: Die Gewichtszunahme erfolgt dann vorrangig über Fettmasse. Ein Jo-Jo-Effekt mit ungünstiger Körperzusammensetzung ist die Folge – mit verstärktem Risiko für sarkopenische Adipositas.
Verglichen mit anderen Abnehmstrategien und Medikamenten sei der Rebound-Effekt bei GLP-1-RA besonders hoch.
Handlungsbedarf bei Patientenführung
„Wir wissen inzwischen, dass die Hoffnung der Betroffenen so groß ist, dass die Warnungen vor einem erhöhten Fettmasseanstieg nach Absetzen häufig erst einmal die Adressaten nicht erreichen“, so Stephan Martin.
Er mahnte: „Es ist daher eigentlich ethisch nicht vertretbar, die Medikamente ohne eine Kombination mit entsprechend verpflichtenden Lebensstilprogrammen zum Muskelerhalt einzusetzen.“