Eine neue Metaanalyse zeigt erhebliche Unterschiede bei den körperlichen Nebenwirkungen gängiger Antidepressiva. Forschende fordern eine personalisierte Verschreibung, um Patienten besser vor kardiovaskulären und metabolischen Risiken zu schützen.
Antidepressiva: Nebenwirkungen variieren stark je nach Wirkstoff
Antidepressiva gehören zu den am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln. Bis zu 17% der erwachsenen Bevölkerung in Europa und Nordamerika erhalten regelmäßig entsprechende Präparate, so die Autorinnen und Autoren einer kürzlich im „Lancet“ veröffentlichten Metaanalyse.
Diese zeigt erhebliche Unterschiede bei den körperlichen Nebenwirkungen von 30 Wirkstoffen, die international zur Behandlung depressiver Erkrankungen eingesetzt werden.
Analyse von über 58.000 Patienten
Das Team um Toby Pillinger vom King’s College London analysierte Daten von über 58.000 Patientinnen und Patienten, die im Rahmen randomisierter, placebokontrollierter Studien acht Wochen lang verschiedene Antidepressiva erhielten. Die Forschenden bewerteten unter anderem Veränderungen folgender Parameter:
- Körpergewicht
- Gesamtcholesterin
- Blutzucker
- systolischer & diastolischer Blutdruck
- Herzfrequenz
- und weitere (z.B. Leberwerte, Na-, K-, Harnstoff- und Kreatininspiegel)
Gewichtsunterschiede von bis zu 4kg
Je nach Wirkstoff traten teils starke Gewichtsschwankungen auf. So kam es unter Agomelatin im Durchschnitt zu einem Gewichtsverlust von 2,44kg, während unter dem trizyklischen Antidepressivum Maprotilin eine durchschnittliche Zunahme von 1,82kg beobachtbar war. Auch unter Amitriptylin (+1,60kg), Fluvoxamin (+0,96kg) und Mirtazapin (+0,87kg) trat eine Gewichtszunahme auf.
Im Gegensatz dazu gingen Präparate mit zum Beispiel Fluoxetin (–0,81kg), Venlafaxin (–0,74kg) oder Duloxetin (–0,63kg) mit einer moderaten Gewichtsabnahme einher. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer/Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI/SNRI) tendieren somit eher in Richtung Gewichtsverlust, wie die Pharmazeutische Zeitung zur Studie schreibt.
Einfluss auf Cholesterin, Blutzucker und Puls
Auch metabolische Effekte wurden festgestellt:
- Cholesterin: Desvenlafaxin, Venlafaxin, Duloxetin und Paroxetin führten zu einem signifikanten Anstieg der Cholesterinwerte.
- Blutzucker: Duloxetin war mit einem Anstieg des Blutzuckerspiegels um 0,30mmol/l verbunden.
- Blutdruck: Amitriptylin erhöhte den systolischen Druck um +4,86mmHg, Nortriptylin senkte ihn um –6,68mmHg.
- Puls: Die Herzfrequenz schwankte je nach Wirkstoff um bis zu 20 Schläge pro Minute (bpm): Während Nortriptylin die Frequenz um fast +14bpm erhöhte, senkte Fluvoxamin sie um etwa –8bpm.
Die Pharmazeutische Zeitung fasst die Ergebnisse kompakt zusammen: „Mit Blick auf das Risiko für Hypertonie oder Tachykardie ist eher Vorsicht bei SNRI und trizyklischen Antidepressiva angeraten. Bezüglich des Adipositasrisikos ist von Maprotilin, Amitriptylin und Mirtazapin abzuraten – stattdessen sollten hier gewichtsneutrale oder -senkende Optionen wie Agomelatin, Bupropion oder Fluoxetin in Erwägung gezogen werden. Beim Einsatz von SNRI ist es wichtig, Cholesterol-, Glucose- und Leberwerte zu überprüfen.“
Relevanz für die (Apotheken-)Praxis
Die Forschenden betonen, dass diese Erkenntnisse niemanden davon abhalten sollten, Antidepressiva einzunehmen. Die vorliegende Nebenwirkungsanalyse zeige aber, dass die Auswahl der Arzneimittel stärker am individuellen Risikoprofil und den Präferenzen der Betroffenen ausgerichtet werden sollte.
Die Apotheke spielt hier eine Schlüsselrolle in der Beratung zur Adhärenz, bei Nebenwirkungsmeldungen oder in der pharmazeutischen Betreuung bei Polymedikation. Die Studie liefert eine wertvolle Grundlage, um auf Fragen und Unsicherheiten von Patienten gezielter eingehen zu können.
Die Autoren räumen jedoch ein, dass in der vorliegenden Metaanalyse manche Nebenwirkungen nicht berücksichtigt wurden – beispielsweise Einflüsse auf das Sexualleben oder Magen-Darm-Beschwerden. Auch beziehen sich die untersuchten Effekte nur auf einen kurzen Zeitraum (acht Wochen) und weitere Analysen zum Ausmaß der langfristigen Veränderungen sind nötig.
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